Ellis Avery
Die Tage des Rauchs
11.–21. September 2001

Ellis Averys Kunst ist es, mit Feingefühl festzuhalten, was meist hinter symbolträchtigen Bildern und Sachinformationen verschwindet. Sie hat aufgezeichnet, wie es war, am 11. September 2001 in New York zu sein, und bezeugt und bewahrt auf einzigartige Weise die kennzeichnenden Stimmungen dieses historischen Schockmoments.

Das, was es nicht ist, ist das Besondere an diesem Buch: Es ist keine große Reportage, keine detaillierte Analyse, keine politische Denkschrift und kein berichthaftes Tagebuch. Ellis Avery hat einfach nur ein beinahe zartes Zeugnis für das hinterlassen, was bei historischen Ereignissen schnell unsichtbar wird: die Gefühle der Menschen. Wie die ganze Stadt erlebte sie einen Schrecken, mit dem fernab von den Kriegsschau­plätzen dieser Welt nie gerechnet wird. Auf das normale Leben senkten sich mit einem Schlag Tod, Bedrohung und Unsicherheit herab, gefolgt von dem Gefühl, irgendetwas tun zu müssen, um sich zu schützen, zu retten, weitere Gewalt zu verhindern und zurückzufinden in eine Normalität. Ellis Avery hat mit ihrem Text einen Weg gefunden, die Empfindungen dieser Septembertage scheinbar ganz privat und mit sanfter sprachlicher Knappheit einzufangen. Und gerade in ihrer nuancierten Zurückgenommenheit stellen ihre Skizzen aus der angegriffenen Stadt ein besonders eindrückliches, sehr reales und doch auch sinnbildhaftes Stück Erinnerung dar.

Mit einer Nachbemerkung von Sharon Marcus.

Aus dem amerikanischen Englisch von Alex Stern.

152 Seiten
gebunden
10,8 × 17,6 cm
(D) € 18,00, (A) € 18,50, sFr 23,50 (UVP)
ISBN 978-3-940357-89-2

Auch als E-Book erhältlich

Pressestimmen

„‚Die Tage des Rauchs‘ ist ein literarisches Ereignis, das tausend Reportagen aufwiegt. Mit ihren winzigen, schmerzhaft dichten Skizzen, dem mikroskopischen Blick in das Innere eines welthistorischen Sturms gelingt es der Autorin, zwei kaum vereinbare Kategorien zu verbinden: authentisch und kunstvoll.“ – Ingo Arend, Deutschlandfunk Kultur

„Ellis Averys schmales Werk … erinnert nicht nur an Verlust und Zerstörung, sondern auch und vor allem daran, was Menschen bewältigen können. Mit Biegsamkeit, Mut, Zuversicht, Kraft und vor allem Zusammenhalt und Nähe. Damals, immer wieder und auch heute.“ – Barbara Weitzel, Welt am Sonntag kompakt

„Auch wenn man Tagebuch schreibt, schreibt man doch immer im Imperfekt, ist Schreiben stets ein Nach-Schreiben. Trotzdem entsteht bei der Lektüre von Averys ‚Die Tage des Rauchs‘ … der Eindruck von Authentizität. Nichts wirkt hier literarisch überformt. Angst, Verwirrung und Trauer erfassen die Autorin wie Millionen andere New Yorker in jenen Tagen. … Als eine Bekannte von Ellis Avery überlegt, ob sie aus dem, was passiert ist, nicht ‚irgendetwas machen‘ kann, fühlt sich Avery ertappt, fühlt sie sich wie ein Monster, weil sie als Autorin natürlich immer mit der Frage beschäftigt ist, wie sich Welterfahrung in Literatur übersetzen lässt. Mit ‚Die Tage des Rauchs‘ ist ihr in der geordneten Schlichtheit und formalen Reduktion Literatur gelungen, die den Vorwurf des Parasitären nicht fürchten muss.“ – Tobias Lehmkuhl, Deutschlandfunk

„Es ist kein zeitgeschichtliches Protokoll, keine Analyse, kein Versuch des Verstehens oder der politischen Einordnung. Die Schreiberin ist überfordert, aufgewühlt und teils betäubt, zurückgeworfen auf die unkontrollierbar gewordenen Gefühle, den Gedankentaumel, der wohl jeden erfasst haben mag, der seinerzeit im Zentrum des Geschehens stand. Das Bewegende an ihren Aufzeichnungen ‚Die Tage des Rauchs‘ ist, dass sie jene Verstörung in aller Unmittelbarkeit festhalten: … Es gelingt ihnen, uns unmittelbar in die Unübersichtlichkeit jener Tage des Rauchs zurückzuführen. Die Konsequenzen dieser geschichtlichen Zäsur sind im Text als böse Ahnungen schon spürbar. Heute, zwanzig Jahre später, müssen wir – siehe Afghanistan – weiter mit ihnen leben.“ – Ulrich Rüdenauer, SWR

„In den nächsten Tagen werden sicher viele Dokumentationen wiederholt werden oder dieser Tag in seinem geschichtlichen Kontext analysiert. Doch um zu verstehen, was in den Menschen passierte, die das alles aus nächster Nähe erleben mussten, dem kann man nur so ein Buch wie ‚Die Tage des Rauchs‘ ans Herz legen.“ – Marc, wereadindie.de

Der „lyrische Prosatext ‚Die Tage des Rauchs‘ (erschien) im Original unter dem Titel ‚The Smoke Week‘ 2003 bei Gival Press … nachdem mehrere Verlage abgesagt hatten, viele davon mit der Begründung, im Buch gehe es eher um eine Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen als um die Anschläge auf die Twin Towers. Dass dieser sehr persönliche und aus unmittelbarer Betroffenheit entstandene Text gerade dadurch seine große Kraft schöpft, lässt sich in der überzeugenden Übersetzung von Alex Stern und dank des Lilienfeld Verlags nun auch im deutschen Sprachraum nachlesen.“ – Liliane Studer, literaturkritik.de

 


© Neil Goldberg

Ellis Avery wurde 1972 geboren und lebte ab 1996 in New York. Die Tage des Rauchs (im Original: The Smoke Week) war 2003 ihre erste Buchveröffentlichung und wurde u. a. mit dem Walter Rumsey Marvin Award ausgezeichnet. 2006 erschien ihr Debütroman The Teahouse Fire, der im Japan des 19.  Jahrhunderts spielt und in viele ­Sprachen übersetzt wurde (u. a. ins Deutsche unter dem Titel Die Teemeisterin, 2008). 2012 folgte mit The Last Nude ein weiterer historischer Roman, diesmal im Paris der 1920er Jahre angesiedelt. Beide Bücher machten sie zur Vorreiterin für queere Themen in diesem Genre und wurden vielfach ausgezeichnet. Im Februar 2019 erlag Ellis Avery mit nur 46 Jahren einer unbesiegbaren Tumorerkrankung.