Karen Gershon
Das Unterkind
Eine Autobiografie

Die Kraft dieser Autobiografie liegt in der literarischen Klarheit und persönlichen Offenheit, mit der Karen Gershon ihre Kindheit und Jugend als Käthe Löwenthal in Deutschland bis zu ihrer Abfahrt nach England im Dezember 1938 beschreibt. Sie hat mit ihren Erinnerungen nicht nur eine wertvolle historische Quelle, sondern auch ein bemerkenswertes Stück wirkmächtiger Literatur über das Heranwachsen als Mädchen verfasst.

Käthes Vater ist ein aufstrebender Architekt in Bielefeld und ihre Mutter die Tochter des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde der Stadt. Was als normales Leben einer bürgerlichen Familie mit drei Töchtern beginnt, wird schließlich mehr und mehr überschattet von den Auswirkungen der ­politischen Entwicklung ab 1933. Sprachlich klar und auf zurückhaltende Weise intensiv beschreibt Karen Gershon das Verhältnis zu ihren Eltern, deren Verhältnis zueinander, die Charaktere der drei sehr verschiedenen Schwestern und deren Wechselwirkungen untereinander, aber auch das Leben im Jüdischen Landschulheim Herrlingen, ihre ­literarischen Anfänge, erste irritierende ­Liebesgefühle und bittere Selbsterkenntnisse. Das alles geschieht vor dem Hintergrund des erzwungenen Abstiegs der Familie und der sich immer weiter steigernden Diskriminierung. Die ­extrem bedrohliche Situation und die Auswirkungen des November­pogroms in ihrer Stadt sind dann der Endpunkt des Lebens der drei Mädchen in Deutschland. Karen Gershons Kunst ist es, all dies auf sehr nahekommende Weise in Worte zu fassen und ein Kinderschicksal des 20.  Jahrhunderts sehr lebensecht in Erinnerung zu bringen.

Aus dem Englischen von Sigrid Daub
Mit einem Nachwort von Naomi Shmuel
312 Seiten
gebunden mit Schutzumschlag, Fadenheftung, Leseband
12,5 × 20,5 cm
(D) € 24,00, (A) € 24,70, sFr 31,50 (UVP)
ISBN 978-3-940357-97-7

Auch als E-Book erhältlich

 

Pressestimmen

„‚Das Unterkind‘ ist ein erschütterndes Zeitdokument. Aber es ist noch mehr. Es ist der Bericht über das Aufwachsen in einer modernen, gutsituierten jüdischen Familie. Nicht in Berlin oder einer anderen Metropole, sondern in Bielefeld. Es ist die Geschichte von schwesterlichen Rivalitäten, Jungmädchenträumen, ersten Verliebtheiten … Lange fühlt sie sich von den Eltern verstoßen, weil sie sie nach England geschickt haben. Ein Vergeben gelingt ihr erst viel später. Begleitet wird alles durch die ‚Schuld‘ überlebt zu haben. Es ist ein Verdienst des Lilienfeld Verlags, das lange Zeit vergriffene Buch als wichtiges Zeitdokument in einer Neuausgabe in der bewährten Übersetzung durch Sigrid Daub wieder verfügbar zu machen.“ – Petra Reich, literaturreich.de

„Gerade durch den nüchternen Erzählton wird die Geschichte dieses Kindes beängstigend. Das langsame Einschleichen von nationalsozialistischem Gedankengut, die Verformung des Judentums lange bevor ihnen systematisch körperlich Gewalt angetan wurde, die zunehmende Angst und die Sorg- und Gedankenlosigkeit, mit der die ‚Arier‘ sich ihre neuen Freiheiten gegenüber den Juden herausnahmen – es ist ein düsteres Menschenbild, das Karen Gershon uns aufzeigt. Selbst die – eigentlich ja gut gemeinten – ‚Kindertransporte‘ änderten am Leiden der Kinder wenig, verschoben es allenfalls ein wenig. … Bücher von Betroffenen, wie dieses, (sollten) auf der ganzen Welt zur obligatorischen Schullektüre erklärt werden.“ – Paul Hübscher, www.litteratur.ch

„Der Verlust der Familie, der Heimat, der plötzliche Abschied: All das trägt Käthe, die sich später Karen Gershon nennt, mit sich herum. … (Ähnlich) wie Victor Klemperers Tagebücher lässt diese Autobiographie nachvollziehen, wie die Welt für die deutschen Jüdinnen und Juden ab 1933 täglich ein Stück enger und dunkler und die Luft zum Atmen stetig dünner wird. … Es sind die Wechsel zwischen den Szenen einer ‚ganz normalen‘ Kindheit und Jugend mit all ihren Freuden und Nöten … und den Eindrücken von einer immer bedrohlicher werdenden Außenwelt, die diese Erzählung so eindrucksvoll und bedrückend zugleich machen. … Die Reflektionen über diese Käthe mit ihren ganzen Eigenheiten aus der zeitlichen Distanz heraus machen dieses Buch auch zu einem besonderen Stück Literatur über das Heranwachsen eines Mädchens in bedrückenden Zeiten.“ – Birgit Böllinger, birgit-boellinger.com

„Als Kind heißt sie Käthe, wie vieles andere noch wird auch der Name nicht bleiben. Karen Gershon sagt nicht ‚Ich’. … Sie spricht in der dritten Person von sich. Legt Abstand zwischen sich und den Menschen, von dem sie erzählt. Emotionen haben einen Reinigungsvorgang zu durchlaufen. Das tut Literatur, und Literatur ist dieser Lebensbericht. Weshalb? Weil Karen Gershon … eine eigene Sprache hat – präzise, knapp, schlank, sachlich. Und weil sie Zuschreibungen vornimmt, die aus Erinnerung, psychologischer Erkenntnis und deren analytischer Betrachtung bestehen. Da wird nirgends falscher Goldglanz aufgetragen, kommt keine Sentimentalität auf, schwächt auch nicht Hass ihre Wahrnehmung. Sie berichtet und kommentiert nüchtern den Hitlerismus, alltägliche Gemeinheit und die Landläufigkeit des Bösen.“ – Andreas Wilink, kultur.west

„Das Buch endet … mit Käthes und Lises Ausreise nach England 1938, aber damit endet ja nicht die Geschichte der Personen, von denen das Buch handelt. Und wie Karen Gershon diese Perspektive dann eingeflochten hat, finde ich auch wirklich erzählerisch sehr interessant: Sie erzählt von diesen Personen bis 1938 und dann kommt oft nur so ein ganz kurzer Satz, der erklärt, wie es mit den Leuten weitergegangen ist, in welchem Konzentrationslager wer wann umgekommen ist. Also, diese Knappheit, mit der die späteren Gräueltaten der Nazis da so bloß referiert werden, die hat einem dann wirklich erst recht den Atem verschlagen.“ – Dina Netz (im Gespräch mit Axel von Ernst), Deutschlandfunk

 

 

Karen Gershon, geboren am 29.8.1923 als Käthe Löwenthal in Bielefeld, gelangte als 15-Jährige 1938 nach Großbritannien, während ihre Eltern in Deutschland zurückblieben und ermordet wurden. Ende der 60er Jahre zog sie nach Israel, kehrte aber Mitte der 70er wieder zurück und ließ sich in Cornwall nieder. Sie veröffentlichte im Laufe ihres Lebens Gedichtbände, Sachbücher, Autobiografisches sowie Romane und wurde für ihr Werk mehrfach mit Preisen gewürdigt. Ihre Autobiografie Das Unterkind erschien 1992 zuerst in der deutschen Übersetzung ­Sigrid Daubs, die sie noch redigieren konnte, und postum 1994 im englischen Original (A Lesser Child). Ein zweiter Teil über die Jahre 1938 bis 1943 wurde unter dem Titel   A Tempered Wind erst 2009 veröffentlicht. ­Karen Gershon starb 1993.

Naomi Shmuel lebt und arbeitet als Autorin, Illustra­torin und Anthropologin in Israel, erhielt zahlreiche literarische und akademische Ehrungen und ist eine der Töchter Karen Gershons. Sie lehrt an Hoch­schulen und schrieb die ersten hebräischen Kinderbücher mit braunhäutigen Hauptfiguren, die heute israelische Schul- und Vorschullektüre zur Förderung interkultureller Verständigung sind. Aktuell schreibt sie an einer Biografie ihrer Mutter, die 2024 in Großbritannien erscheinen wird.